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Oberbürgermeister Christof Florus dankt Professor Kurt Andermann für seinen kurzweiligen Festvortrag
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Seit Samstagabend ist klar: Gaggenau ist sicherlich älter als 775 Jahre und der Städtename hat allen schönen Legenden zum Trotz wohl eher nichts mit Gänsen zu tun. Auf sehr unterhaltsame und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Weise klärte der Freiburger Historiker, Dr. Kurt Andermann die Festaktbesucher in der Jahnhalle über die Vergangenheit Gaggenaus auf.

„Die Ersterwähnung vor 775 Jahren in einer Urkunde ist ein purer Zufall der Geschichte“, erklärte er, dass die Stadt deshalb „heute gewissermaßen ihren Namenstag, nicht aber ihre Gründung oder ihren Geburtstag feiert“. 100 Jahre Stadtrechte Gaggenau werden im Jahr 2022 begangenen, berichtete Oberbürgermeister Christof Florus in seiner Ansprache, bei der er zu dem Schluss kam, „dass die Gaggenauer Geschichte zwar nicht von historisch bedeutungsvollen Ereignissen geprägt ist, wohl aber dennoch eine Adelsstadt ist“. Zumindest dann, „wenn Arbeit adelt. Denn sie ist eine einzige Stätte der Arbeit“, zitierte er den Stadtchronisten Willi Echle. In seiner kurzweiligen Rede zeigte das Stadtoberhaupt auf, wie das kleine Dorf zu einem überregionalen Wirtschaftsstandort mit weltweiter Beachtung aufgestiegen ist. Noch 1650 zählte die Siedlung gerade einmal 160 Einwohner. Als Keimzelle des Industriestandortes machte Florus zum einen die Verpachtung des neuen Hammerwerks 1683 durch Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, dem legendären „Türkenlouis" aus. Zum anderen die Verlagerung der Glasproduktion von Mittelberg nach Gaggenau 100 Jahre später.  „Glas und Eisen, das sind die beiden Stoffe aus denen Gaggenau gemacht ist“, bilanzierte er die beiden Erfolgsfaktoren. Und Gaggenau hatte Glück, weitsichtige Politiker wie Anton Rindeschwender und August Schneider zu haben sowie Industriepioniere wie Michael Flürscheim und Theodor Bergmann. „Wir sind unseren Wurzeln treu geblieben. Bis heute wird in Gaggenau tagein tagaus hochwertige Arbeit geleistet“.

Beistellherd aus Gaggenau – „persönliche Ersterwähnung“

Die daraus resultierenden Produkte bildeten für den redegewandten Professor Kurt Andermann den roten Faden seines Festvortrages. Viele Besucher fühlten sich selbst in ihre Kindheit zurückversetzt, als der gebürtige Pfälzer mit blumigen Worten seine erste ganz persönliche Begegnung mit Gaggenau in der Küche der Großmutter beschrieb, die dort einen mit Holz und Kohle zu befeuernden ,,Beistellherd“ samt Wasserschiffchen stehen hatte. Die ersten Lacher waren ihm sicher, als er augenzwinkernd erzählte, dass für seine Oma feststand, dass der Name „Gaggenau“ zwar auf einen Ort hindeute, „der aber gewiss nicht in der Pfalz liegt“. Seine zweite Begegnung hatte er wie viele Menschen, mit dem „Universalmotorgerät“. Bei der Bundeswehr durfte er einen Unimog fahren. Und schließlich befasst sich der Historiker vor einigen Jahren ausführlich im Rahmen der Kreisbeschreibung für den Landkreis Rastatt intensivst mit dem unteren Murgtal. So kenne er auch „die Tücken urkundlicher Ersterwähnungen sowie die Spielräume ihrer Interpretation“ und leitete so auf seine nachvollziehbare Theorie hin, dass Gaggenau ganz sicher schon vor 1243 existierte. „Im Jahr 1243 erhob der Bischof von Speyer Gernsbach zur eigenständigen Pfarrei und bestimmte im Zusammenhang damit auch gleich die Grenzen dieser neuen Pfarrei gegenüber der Mutterpfarrei in Rotenfels. Demnach sollten die Leute in den Orten Sulzbach, Ottenau, Gaggenau, Selbach, Michelbach, Bischweier und Winkel wie von alters her bei der Pfarrei Rotenfels verbleiben, alle Orte hingegen, die im Murgtal weiter oberhalb lagen, sollten künftig dem Sprengel der neuen Pfarrei Gernsbach gehören“, berichtete Andermann. Auch wenn diese Urkunde nicht im Original, sondern lediglich in einer Abschrift vorhanden ist, so gebe es dennoch keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit, betonte Andermann. Dennoch so der Professor, ist die Feier der ersten namentlichen Erwähnung in eben jener Urkunde, nicht ein Gründungsdatum.

Wie alt ist Gaggenau wirklich?

„Wir feiern vielmehr, dass die existierende Siedlung mit der Namensnennung unverwechselbar wird. Daraus ergaben sich für Andermann zwei weitere Fragen. Wie lange zuvor mochte Gaggenau schon bestanden haben und wie kamen die Menschen damals auf den Namen? Auf beide Fragen gibt es keine endgültigen Antworten, wohl aber wissenschaftlich logische Schlussfolgerungen.  Die allerersten Anfänge der Siedlung dürften in der Zeit der salischen Kaiser, das heißt im 11. oder 12. Jahrhundert liegen. „Allerspätestens jedoch ist der Ursprung Gaggenaus in die Zeit der Staufer zu datieren“, erläuterte Andermann.

Dohlen „gacken“

Und der Name? Auch hierfür hatte der Professor eine nachvollziehbare Herleitung parat. Gackenoᶹwe setzt sich zum einen aus dem Grundwort „Au“, was auf „Auen“ hinweist, sowie dem Bestimmungswort „Gacken“ hin.

Dass sich entlang der damals noch nicht begradigten und kanalisierten Murg, Feuchtgebiete, also Auen gebildet haben, liegt auf der Hand. Um sie von anderen „Auen“ wie Ottenau, Hilpertsau oder auch Au am Rhein zu unterschieden, wurde die Bezeichnung um „Gacken“ ergänzt. Sehr anschaulich erläuterte Andermann an vielen anderen typischen Namen wie sich diese zusammensetzen und ergeben. Im Murgtal dominieren „Stellenbezeichnungen“, die den jeweiligen Siedlungsplatz sowie die topographischen Eigentümlichkeiten charakterisieren. Die Menschen beschrieben, was sie hörten, sahen und erkannten. Und so fragte Andermann nachvollziehbar ins Publikum „Weshalb also sollte die Gackenoᶹwe, nicht die Aue, die nasse Wiese sein, auf der oder bei der Gacken - das sind Dohlen, Rabenvögel - sich in großer Zahl  tummelten, ihre Nahrung suchten und lautstark ihrer Lebensfreude Ausdruck gaben?“ Und er unterstrich, dass diese Annahme gut zu der Situation Gaggenaus im Mittelalter passe und es auch weitere Beispiele für Orte gibt, deren Bestimmungswörter sich auf Tiere beziehen.  „Gaggenau ist also die Aue mit den gackernden Vögeln, die Gackenoᶹwe - ein ebenso origineller und markanter wie schöner Ortsname“, schloss Andermann unter viel Applaus seinen Festvortrag.

Von Gregorianik bis Pop

Nicht nur er bewies, dass Geschichte alles andere als eine „staubtrockene Angelegenheit“ sein muss. Äußerst beeindruckend setzte die Gaggenauer Musikschule die Zeitspanne von 750 Jahren um. Von gregorianischer Musik über mittelalterliche Tänze, klassische Kompositionen bis hin zu rockigen Melodien, spannten die verschiedenen Ensembles ihren Bogen. Musikschulleiter Oliver Grote krönte die Auftritte durch locker vorgetragene Hintergrundinformationen. Dem Gitarrenensemble unter der Leitung von Karlheinz Wagner oblag die Eröffnung des Festaktes am Samstagabend. Zu dritt ließen sie zwei Tänze von Erasmus Widmann erklingen. Gudrun Rademacher hatte für ihr Ensemble „Flautissimo“ unter anderem „Flos Filius eius“ und ein Tanzlied aus dem 13. Jahrhundert ausgewählt und verzauberte damit die Besuche mit eher ungewöhnlichen Klängen. Klassische Musik aus dem 17. und 18. Jahrhundert präsentierte dagegen das Klarinettenensemble von Gerold Stefan. Mit dem Streicherensemble reisten die Zuhörer in die Barockzeit. Für den Abschluss hatte Boriana Baleff zudem einen Tango aus dem frühen 20. Jahrhundert gewählt. Als Beispiel für die Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts hatte Oliver Grote mit dem Bläserensemble einen Michael Jackson Hitmix einstudiert. Perfekt gelang einem Ensemble aus Schülern, Lehrern und Eltern der Abschluss des feierlichen Festaktes. Sie skandierten die „Fuge aus der Geographie“ von Ernst Toch und vermittelten damit eine weitere Facette der Musikkunst. Nicht allein, weil der Text am Ende mit Gaggenauer Note endete, wurde der sprechende Chor mit stehenden Ovationen belohnt.