12.04.2022
Oftmals sind es banale Kleinigkeiten, die für einen Menschen mit Einschränkung zur Barriere werden können. Das kann der Absatz vor einer Tür sein, die fehlende Rampe an einem Eingang, eine hohe Bordsteinkante, oder das Nichthören können von Sprache.
Aus diesem Grund wurde vor mehr als sechs Jahren das Inklusionsprojekt „Miteinander – macht's einfach“ durch die Stadt Gaggenau und die Lebenshilfe, Kreisvereinigung Rastatt/Murgtal e.V. initiiert. „Wir wollten, dass im Alltag, auf den Plätzen und Straßen, in den Strukturen unserer Gesellschaft, aber vor allem auch in den Köpfen Barrieren abgebaut werden. Wir wollen, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, dass Menschen mit Behinderungen überall teilhaben und mit dabei sein können“, erklärt Oberbürgermeister Christof Florus das Ziel des Prozesses. An der vergangenen Gemeinderatssitzung wurde dem Gemeinderat nun ein sogenannter Maßnahmenkatalog vorgelegt, der in fünf verschiedenen Handlungsfeldern aufzeigt, welche Maßnahmen bereits ergriffen wurden, welche in der Umsetzung sind und welche noch angegangen werden sollen.
Dabei reiche es nicht aus, dass Fußgängerüberwege mit entsprechenden Orientierungsplatten am Boden ausgestattet werden oder Rampen gebaut werden, erklärte Florus. Menschen mit körperlichen Einschränkungen müssen auch problemlos an Veranstaltungen teilnehmen können, sie sollten jedes Geschäft und jedes Restaurant ihrer Wahl besuchen können.
„Es geht darum, dass jeder Mensch das gleiche Recht hat, über sein eigenes Leben entscheiden zu können und nicht ausgeschlossen wird“, betonte auch Lebenshilfe-Geschäftsführer Martin Bleier, der zusammen mit Carmen Merkel, Abteilungsleiterin Gesellschaft und Familie, den Maßnahmenplan erläuterte.
„Miteinander – macht's einfach“ ermöglichte der Lebenshilfe, sich dem regionalen Gemeinwesen zu öffnen und verstärkt engagierte Partner in Vereinen, Kommunen und Firmen für eine Kooperation zu gewinnen sowie für ein inklusives Miteinander zu werben, stellte der Vorsitzende der Lebenshilfe, Hasso Schmidt-Schmiedebach fest.
Profitieren soll davon die gesamte Gesellschaft: Ein barrierefreier Zugang helfe nicht nur einem Rollstuhlfahrer, sondern auch einer Person mit Kinderwagen oder Rollator. Eine bebilderte Speisekarte helfe auch Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, oder Lese- bzw. Sehschwierigkeiten haben. Die fünf Handlungsfelder sind Barrierefreiheit, Teilhabe, politische Teilhabe, Schulen und Kindertageseinrichtungen sowie Wohnen. Um bei der Umsetzung keine Fehler zu machen, wurde ein Expertengremium Inklusion gebildet, das mit seiner Expertise beratend beispielsweise für die Stadtverwaltung tätig wird und Hinweise gibt, worauf bei Baumaßnahmen geachtet werden muss.
Was heißt Barrierefreiheit?
Oft wird unter Barrierefreiheit nur baulichen Barrieren gesehen wie Treppen, Rampen oder fehlende Aufzüge. Menschen mit Hör- und Seheinschränkungen stoßen auf ganz andere Barrieren. Barrierefreiheit umfasst somit nicht nur die sichtbaren Barrieren, sondern auch Gebärdendolmetscher, Blindenleitsysteme, verständliche, leichte Sprache sowie barrierefreie Internetauftritte. In dem Handlungsfeld gibt es deshalb viele Bereiche, für die Verbesserungen vorgeschlagen werden. Unter anderem zählen dazu öffentliche Gebäude und Plätze, Straßen, Ampeln, Parkplätze, aber auch öffentliche Verkehrsmittel, öffentliche Toiletten und barrierefreie Informationen. Im neuen Waldseebad wurden zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, um allen den Badespaß zu ermöglichen.
Was heißt Teilhabe?
Menschen mit Behinderungen wollen genauso leben wie nicht behinderte Menschen. Sie möchten mobil sein und ihren Alltag ohne fremde Hilfe meistern können, und sie haben ein Recht darauf. Mit den Maßnahmen soll die Teilhabe eines jeden in Gaggenau und seinen Teilorten verbessert oder ermöglicht werden. Hier geht es insbesondere darum, dass Menschen mit Einschränkungen an Veranstaltungen, am Vereinsleben oder auch in Arbeitskreisen teilnehmen können.
Was heißt politische Teilhabe?
Politische Teilhabe bedeutet die Beteiligung von Bürgern an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen.
Dazu gehören die Teilnahme an Wahlen, öffentlichen Gemeinderatssitzungen, Arbeitskreise und die Mitgliedschaft in politischen Parteien. Die politische Teilhabe der Bürger gilt als Voraussetzung, Bestandteil und wesentliches Merkmal einer Demokratie.
Was bedeutet Bildung für alle?
Gute Bildung heißt Bildung für alle. Das Recht auf Bildung ist entscheidend für die ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung aller Gesellschaften. So ist beispielsweise die Merkurschule auch eine Inklusionsschule, an der Kinder mit Benachteiligung integriert werden. Eine Rampe und eine barrierefreie sanitäre Einrichtung erleichtern den Alltag. Gleiches gilt für die Kita Spielwiese, auch hier wurden baulich alle Voraussetzungen geschaffen. Zudem wird versucht, Kinder mit Beeinträchtigung in Regelkindergärten einzubinden.
Was bedeutet unabhängige Lebensführung?
Unabhängige Lebensführung bedeutet selbstbestimmte Lebensführung. Es soll unter anderem gewährleistet sein, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen. Sie sollen weiterhin entscheiden dürfen, wo und mit wem sie leben und sind nicht verpflichtet, in besonderen Wohnformen zu leben. Weiterhin soll gewährleistet werden, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen haben. Dies schließt auch die persönliche Assistenz ein, die das Leben in der Gemeinschaft und die Einbeziehung in die Gemeinschaft unterstützt und Isolation und Ausgrenzung verhindert. Durch die Gaggenauer Altenhilfe wurde „Ambulantes Servicewohnen“ eingerichtet; durch die Lebenshilfe-Stiftung unter anderem in Gernsbach ein Wohnprojekt realisiert.